Archiv der Kategorie: Rezensionen

Sebastian Fitzek „AchtNacht“

Der 16. Roman des Bestseller-Autors

Die Geschichte handelt von einer Hetzjagd durch Berlin. Genau genommen handelt sie von einem Spiel. Es beginnt am 08.08. um 8.08 Uhr abends und dauert 12 Stunden. Jeder kann mitmachen. Die Regeln sind denkbar einfach. Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland können jemanden nominieren, der getötet werden soll. Per Los wird entschieden, wen es trifft. Derjenige, dem es gelingt, den Auserwählten innerhalb von 12 Stunden zu töten und den Beweis für die Tötung auf der „AchtNacht“-Plattform hochzuladen, erhält 10 Millionen Euro. Das Spiel ist angeblich von der Bundesregierung legitimiert und der Mord damit straffrei. Es trifft zum einen den Musiker Ben Rühmann, der durch die Nominierung plötzlich um sein Leben kämpfen muss. Zum anderen ist eine junge Frau namens Arezu Herzsprung nominiert. Gemeinsam versuchen sie, ihren potentiellen Mördern zu entfliehen.

Wer den Film „The Purge – Die Säuberung“ kennt, wird schnell Parallelen in der Handlung finden. Die gute Idee des Romans verpufft allerdings an der lieblosen Umsetzung. Die Protagonisten bleiben ohne Profil und machen sich selbst das Leben schwer. Die Motive der Figuren sind völlig unklar. Der Leser versteht nicht, warum sie Entscheidungen treffen, die der Situation überhaupt nicht angemessen scheinen. Die Dialoge, insbesondere zwischen Arezu und Ben, wirken hölzern und konstruiert.

Die Handlung ist über weite Teile des Romans unrealistisch, abgedreht und übertrieben. Der Autor versucht, Spannung durch Zufälle und dumme Verhaltensweisen der Protagonisten zu erzeugen. Die Entscheidungen, die Ben und Arezu treffen, um den Häschern zu entkommen, sind überhaupt nicht nachvollziehbar. Über weite Strecken des Romans bekommt der Leser den Eindruck, die beiden Hauptfiguren hätten Todessehnsucht, so unsinnig sind ihre Entscheidungen. Neben der Aneinanderreihung konstruierter Situationen nervt besonders der ständige Wechsel zwischen den Orten und den Figurenperspektiven.

Der Schreibstil wirkt lustlos. Viele Metaphern und Vergleiche hinterlassen einen faden Beigeschmack.

Insgesamt fand ich das Buch sehr langatmig. Spannung konnte ich keine finden. Es war das erste Buch, das ich von Sebastian Fitzek gelesen habe. Es macht nicht wirklich Lust darauf, ein weiteres von ihm zur Hand zu nehmen.

Sebastian Fitzek „AchtNacht“
Roman, 416 Seiten, Taschenbuch
Knaur TB, 7. Auflage, 14. März 2017; 12,99 Euro
ISBN 978-3426521083

Horst Beseler „Käuzchenkuhle“

KäuzchenkuhleDDR-Spannung pur für Kinder von heute
Rezension bezieht sich auf: Käuzchenkuhle, Eulenspiegelkinderbuchverlag (Ebook)

Wer das Buch in die Hand nimmt, begibt sich auf eine Zeitreise, und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen in die junge DDR der sechziger Jahre, zum anderen ans Ende des 2. Weltkrieges. Beides verbindet Horst Beseler in einer spannenden Kriminalgeschichte für Kinder.

Der Junge Jean-Paul, genannt Jampoll, muss die Ferien bei seinen Großeltern in dem Dorf Wolfsruh verbringen. Viel lieber wäre er jedoch mit seinen Klassenkameraden an die Ostsee gefahren. Obwohl er in Wolfsruh Freunde hat, erwartet Jampoll einen langweiligen Sommer. Dann kommt aber alles ganz anders. Jampoll trifft einen geheimnisvollen Fremden und stößt auf ein finsteres Geheimnis, in welches sein Großvater, der Fischer Kalmus, verstrickt ist. Zusammen mit seinen Freunden Schraube, Christian und Linde stellt Jampoll Nachforschungen an, die bis in die Zeit des 2. Weltkriegs reichen. Und immer wieder taucht dabei die sagenumwobene Käuzchenkuhle auf. Was verbindet die Kuhle, den Fremden und Großvater Kalmus? Und was sucht der Fremde so verzweifelt im Mümmelsee? Auf der Suche nach Antworten geraten die Kinder in große Gefahr. Werden sie das Geheimnis lüften?

Horst Beseler erzählt eine spannungsgeladene Geschichte, die trotz einiger Nebenschauplätze nie langweilig wird. Der Leser erfährt neben der Krimihandlung viel Interessantes über das Leben im Sozialismus – natürlich idealisiert, so wie es in der sozialistischen Literatur üblich war. Trotzdem sind das Leben im Dorf, die Arbeit bei der LPG oder die Aufbauarbeit in der Schule sehr realistisch geschildert. Damit ist das Buch ein Zeitzeuge der DDR-Geschichte. Horst Beseler erzählt atmosphärisch dicht, beschreibt seine Figuren sehr lebendig und befindet sich jederzeit auf Augenhöhe mit seinen jugendlichen Lesern.

Deshalb funktioniert der Krimi auch heute noch. Ferien, Abenteuer, Verbrechen, Freundschaft und Schatzsuche sind Themen, die heutige Kinder ebenso in ihren Bann ziehen wie damals in der DDR, in der das Buch Pflichtlektüre im Deutschunterricht war. Man muss den jungen Lesern von heute jedoch einige Begriffe erklären, die typisch für das Leben in der DDR waren, z B. ABV, LPG, Pioniere usw. Das Buch zeigt Kindern außerdem, dass Ferien auf dem Dorf manchmal spannender sein können als eine Flugreise ins weit entfernte Ausland. Sie können lernen, wie man sich ohne großen Aufwand interessant in der Natur beschäftigen kann oder wie man Freundschaften schließt und vor allem aufrechterhält. Dinge, die im Zeitalter des Überflusses, der Schnelllebigkeit und der Entertain-me-Mentalität immer mehr in Vergessenheit geraten.

Und so mancher Erwachsene wird beim nochmaligen Lesen in Erinnerungen schwelgen.

Horst Beseler „Käuzchenkuhle“
Roman, 379 Seiten, Ebook
Eulenspiegelkinderbuchverlag Berlin, 1. Auflage, 2014; 7,99 Euro
ISBN 978-3-359-50037-7

Donna Tartt „Die geheime Geschichte“

Geheime GeschichteMenschliche Abgründe und Spannung pur
Rezension bezieht sich auf: Die geheime Geschichte, Goldmann Verlag (Taschenbuch)

Richard Papen, der Ich-Erzähler des Romans, stammt aus einfachen Verhältnissen. Er erhält ein Stipendium, das es ihm ermöglicht, das Hampden College in Vermont zu besuchen und dem tristen Leben in seiner kalifornischen Heimatstadt zu entfliehen. Richard erlangt auf dem Campus Zugang zu einer Gruppe Studenten, die Griechisch lernt und speziell vom verschrobenen Professor Julian Moore ausgewählt wurde, Altphilologie zu studieren. Die Gruppe wirkt dekadent, elitär und arrogant und möchte eigentlich unter sich bleiben. Dennoch gelingt es Richard, in den Griechisch-Kurs und damit in die Gruppe aufgenommen zu werden.
Henry ist der heimliche Anführer der Gruppe. Er hat reiche Eltern und muss nicht auf Geld achten, genau wie Francis, der ebenfalls ein Mitglied der Gruppe ist. Auch die Zwillinge Camilla und Charles gehören dazu, die seit dem Tod ihrer Eltern von der Großmutter finanziell unterstützt werden. Außerdem ist da noch Edmund, der von allen nur Bunny genannt wird. Er hat nie Geld, liebt es aber, auf großem Fuße zu leben und bei allen zu schnorren. In die Gruppe aufgenommen bestimmen fortan regelmäßige Alkoholexzesse, Wochenendausflüge zu Francis‘ Landsitz  und philosophische Diskussionen Richards Alltag.
Doch bald spürt Richard, dass unter dem Schein der Freundschaft ein dunkles Geheimnis lauert, in das er tiefer und tiefer hineingezogen wird. Ein unaufgeklärter Mord hat den Zerfall der Gruppe zur Folge. Misstrauen, Drohungen, Erpressungen und Angst führen zu Feindschaften unter den Freunden, die in einer Katastrophe münden, deren Auswirkungen alle Mitglieder der Gruppe an ihre physischen und psychischen Grenzen bringen.
Der Roman beginnt in einem Prolog mit einem Mord, an dem der Ich-Erzähler beteiligt ist. Im Laufe der Handlung wird die Frage geklärt, warum dieser Mord passiert und welche Auswirkungen er auf die Beteiligten hat. Dabei folgt der Roman dem klassischen Spannungsaufbau bis zum Höhepunkt, dem im Prolog beschriebenen Mord.
Donna Tartt ist nicht nur ein spannender Kriminalroman gelungen, sondern in erster Linie ein großartiges Psychogramm der Figuren. Durch den klugen und sehr feinfühligen Erzählstil werden die Figuren langsam entwickelt. Der Leser wird gezwungen, sich moralisch zu positionieren und das Verhalten der Gruppe insgesamt, aber auch jedes einzelnen Mitglieds zu bewerten. Der Roman ist deshalb nicht nur für Krimifans äußerst empfehlenswert.

Donna Tartt „Die geheime Geschichte“
Roman, 572 Seiten
Goldmann Verlag, 7. Auflage; 9,99 Euro
ISBN 978-3-442-48057-9

Ingrid Noll „Röslein rot“

IMG_3408 (2)Ein stiller, nicht ganz typischer Noll-Roman
Rezension bezieht sich auf: Röslein rot (detebe) (Taschenbuch)

Im Zentrum des Romans steht eine Frau mittleren Alters. Sie führt eine langweilige Ehe mit einem Architekten, in erster Linie als Hausfrau und Mutter. Nebenbei erledigt sie die Büroarbeit für ihren Mann Reinhard, der sich gerade selbstständig macht. Die knappe Freizeit verbringt Annerose, genannt Röschen, mit Glasmalerei – ihre Art, aus dem Alltag zu fliehen.
In dieses langweilige Leben schleicht sich ganz allmählich etwas Bedrohliches. Verschiedene Frauen treten in Reinhards, und damit auch in Anneroses Leben. Sie verdächtigt ihren Mann der Untreue und fühlt sich zunehmend an den Rand gedrängt. Ihre Unsicherheit, ob Reinhard sie denn nun betrüge oder ob sie sich alles nur einbilde, sorgt dafür, dass Annerose beginnt, ihren Mann genau zu beobachten, in seinen Sachen zu schnüffeln und ihm nachzustellen. Obwohl sie Anzeichen sieht und Vorahnungen hat, bleibt zunächst für den Leser unklar, ob die Protagonistin nicht einfach nur überzogen und viel zu misstrauisch reagiert. Bis die für Ingrid Noll obligatorische Leiche auftaucht …
Obwohl der Leser das ganze Buch hindurch ahnt, was als nächstes passieren wird, ist es trotzdem spannend und interessant zu sehen, wie Anneroses Ehe langsam zerbricht, Familienbande neu geknüpft werden und Freunde nicht das sind, was sie scheinen. Die eingeschobenen Bildbeschreibungen mit Bezug zu Anneroses Hobby und zu den Ereignissen im Roman unterbrechen regelmäßig die Handlung und geben dem Leser einen lehrreichen Einblick in die Malerei barocker Stillleben.
Das Buch ist sicherlich nichts für Krimifans, die auf den ersten Seiten einen handfesten Mord erwarten. Die Spannung baut sich langsam auf und belohnt den geduldigen Leser. Die Wende in der Handlung und die Auflösung am Ende des Romans sind dann aber leider etwas oberflächlich und unoriginell geraten. Insgesamt ein leiser Krimi, der vom Stil her kein typischer Noll-Roman ist, aber dennoch nicht weniger lesenswert.

Ingrid Noll „Röslein rot“
Roman, detebe 23151, 288 Seiten
Diogenes Verlag; 10,90 Euro
ISBN 978-3-257-23151-9